Flächenschutz am Jägersberg bei Fischen im Allgäu
Einer unserer ehemaligen Teilnehmer (und nun stolzer Jäger) besitzt am Jägersberg einen Wald in einem Rotwildgebiet. Seinen Wald wollte er gerne mit einem Wildzaun geschützt haben. Das schien uns ein wichtiges Praxisthema für unsere Lehrlinge und auch für die Ausbilder. Außerdem verfahren wir untereinander ohnehin und traditionell nach dem Motto an unserer Jagdschule, dass Jäger, Lehrlinge und speziell ehemalige Teilnehmer sich gegenseitig im Revier unterstützen.
An einem verregneten Sonntagmorgen im April trafen sich etwa 10 motivierte Waidwerker, um gemeinsam diesen Wildzaun als Flächenschutz aufzustellen. Die Teilnehmer teilten wir in zwei Bautrupps und einen Versorgungstrupp. Die Bautrupps sollten an den oberen und unteren Ecken der rechteckigen Fläche mit dem Aufstellen beginnen und parallel (unterhalb und oberhalb), zueinander hin arbeiten. Die zu umzäunende Hangfläche hatte etwa ein Ausmaß von 400 Meter x 200 Meter. Also war etwa eine Zaunlänge von grob 1200 Meter zu erstellen. Auf den Grund befindet sich ein etwa 30 jähriger Mischbestand aus Fichte, Buche und Esche, sowie vereinzelt Tanne. Dazwischen einiges an Jungwuchs, hervorgegangen aus Naturanflug.
Nach einer kurzen Einweisung und Besprechung der Vorgehensweise ging es los. Nachdem alles Werkzeug und Material örtlich verteilt und aufgeteilt war, begann auch schon pünktlich der erwartete Regen einzusetzen. Das Wasser fiel nicht besonders heftig vom Himmel, aber sehr gleichmäßig nahezu den gesamten Rest des Tages. Allerdings ließ sich davon keiner beirren oder abhalten. Eine Blöße oder Schwäche zu zeigen und vor dem Wetter „einzuknicken“, das wollte niemand.
Die Drahtrollen wurden ausgerollt, die vorbereiteten Scheren und Pflöcke verteilt, der Reihe nach am Zaun gesetzt und verankert. Anschließend musste der zum Aufstellen nur geheftete Drahtzaun anschließend ordentlich mit Drahtklammern befestigt werden. In deutlicher Erinnerung ist mir dazu noch, dass es speziell bei einem so hohen Drahtzaun, unglaublich viele Sichtweisen bezüglich der geraden Ausrichtung unter den Akteuren geben kann. Kurz gesagt es war anstrengend, aber lustig. Die Stimmung war gut und wir hatten Freude an der gemeinsamen Arbeit in der Natur.
Gegen Mittag hatte der Versorgungstrupp mit behelfsmäßigen Mitteln ein Feuer und einen Grill zu erstellen. Bis zum Eintreffen der Bautrupps mussten die vom Grundeigentümer spendierten Schnitzel und Steaks fertig gegart, die Tische und Stühle im Trockenen aufgebaut und die Salate angerichtet sein. Gar nicht so einfach bei dem Regen. Aber natürlich hat es geklappt und alle konnten gleichzeitig und reichlich essen.
Belastet mit „vollem Kessel“ griffen wir die zweite und letzte Etappe des Werkes an. Immer begleitet von seichtem aber gleichmäßigem Regen. Gegen etwa 17.30 Uhr setzten wir die letzte Schere und vervollständigten den Flächenschutz um den Mischwald. Nass aber zufrieden und ein wenig stolz auf unsere Arbeit räumten wir die Baustelle. Alles in allem war es ein gelungener Tag für alle. Nicht nur der Lerneffekt beim Herstellen und Aufstellen des langen Zauns war für alle Beteiligten enorm. Es hat sich zudem wieder einmal gezeigt, dass die vorhandenen individuellen Fähigkeiten jedes Einzelnen, bei etwas Zusammenhalt untereinander, sich hervorragend zu einer passablen Gruppenleistung ergänzen können.
Gedanken zu Wildschäden
Auch wenn es sich vielleicht in der Schilderung oben nicht so anhört, das Aufstellen des Zauns hatte (abgesehen von dem Lerneffekt) schon einen tieferen Sinn. In Notzeiten, also bei Nahrungsmangel, neigt Rotwild dazu, vor allem junge Bäume zu schälen. Die bevorzugten Bäume bei uns im Allgäu sind dabei Fichte und Buche sowie vereinzelt Ahorn. Allerdings kommen andere Baumarten für Schälungen ebenso in Frage. Es verhält sich dann beim hungernden Rotwild in etwa ebenso wie bei einem Menschen, der z.B. eine Woche keine Nahrung zu sich genommen hat. Eine solche Person hat dann kein Problem auch Lebensmittel zu sich zu nehmen, die sie sonst nicht so gerne isst.
Die Problematik der Schälung ergibt sich aus dem Schaden, der dem Waldbesitzer und letztlich dem Jagdpächter entsteht. Eine größere geschälte Fläche am jungen Baum führt in der Regel dazu, dass er verendet oder eingeht. Durch die offene Stelle am Stamm wird der Flüssigkeitshaushalt des Holzes gestört und es können Bakterien und Pilze eindringen. Wenn die schützende Rinde bzw. Borke fehlt, erkrankt der Baum und stirbt schließlich ab.
Es wird Sie vielleicht überraschen, aber die berüchtigten und vom Rotwild verursachten Schälschäden an Bäumen gehören eigentlich nicht zum normalen Äsungsspektrum unserer größten Wildart. Sofern Rotwild Ruhe hat, sucht der Mischäser bevorzugt freie Flächen auf und nimmt dort vorwiegend Grünäsung und Naturheu auf. Beispielsweise Gräser und Kräuter, sowie Blätter des Strauch- und Buschwerks. Aufgrund des großen Pansens ist Rotwild in der Lage, größere Mengen von Äsung auf einmal aufzunehmen. Sofern die Echthirsche Nahrung vorfinden die ihnen behagt, grasen sie im Allgemeinen alles ab, was sie vorfinden. Je nach Körper- bzw. Pansengröße beträgt die täglich notwendige Ration zwischen vier und zehn Kilogramm. Zur Aufnahme dieser Menge benötigt das Wild etwa sechs Äsungsphasen in 24 Stunden. Zwischen den Äsungsphasen liegen jeweils etwa zwei bis drei Stunden zum Wiederkäuen.
Da in unseren Breiten große und freie Äsungsflächen nahezu durchgehend fehlen bzw. für Rotwild kaum zur Verfügung stehen, weicht es in Wälder aus. Dort ergänzt das ursprüngliche Steppentier heute notgedrungen fehlenden Lebensraum. Im Wald besteht der Hauptanteil der Äsung aus Blättern, Kastanien, Bucheckern, Eicheln, Pilzen und Beeren. Natürlich ebenfalls aus dem Blatt- und Nadelwerk junger Bäume, sowie deren frischer Triebe.
Wenn Rotwild Nahrungsmangel widerfährt, z.B. im Winter durch eine hohe Schneedecke, oder im Sommer, wenn es z.B. durch starken Tourismus im Wald „eingesperrt“ wird und nicht zum äsen austreten kann, dann schält es. Solche Nahrungsgnot entsteht auch z.B. durch zu hohen Jagddruck, durch Überbestände an Schalenwild, intensive Land- bzw. Waldbewirtschaftung. Wenn es also in seinem Rückzugsgebiet nachhaltig beunruhigt und an der Äsung gehindert wird, dann schält Rotwild junge Bäume. Beide Arten von Schälungen, Sommer- und Winterschälung, sind also Notmaßnahmen des Wildes und kein normales Äsungsverhalten.
Eine Sommerschälung ist recht einfach von der Schälung im Winter zu unterscheiden. Im Winter weisen die jungen Baumstämme die acht Furchen der Schneidezähne im Unterkiefer des Schalenwildes auf. Dies deshalb, weil Baumrinde im Winter wesentlich trockener ist als im Sommer. Zum Winter hin „pumpen“ Bäume den größten Teil ihrer Flüssigkeit vom Stamm ins Wurzelwerk, um Frostschäden zu vermeiden. Während also das Rotwild in der kalten Jahreszeit deshalb regelrecht die Rinde vom Stamm schaben muss, zieht es die saftigere Sommerrinde in großen Lappen lediglich vom Stamm ab. Deshalb finden wir bei der Sommerschälung keine Zahnabdrücke am Stamm. Gefährdet sind vor allem junge Bäume, weil deren Rinde zart ist und noch nicht jene Widerstandsfähigkeit aufweist, wie sie alte Stämme zeigen.
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass Rotwild auch im Felde des Landwirts manchmal Schäden verursacht. Vom Getreide- bis zum Kartoffelfeld reicht hier das Spektrum. Sofern ein größeres Rudel beteiligt war, können die Schäden beträchtlich sein. Um den angesprochenen möglichen Schäden vorzubeugen, werden z.B. Flächenschutzmaßnahmen mit Zäunen durchgeführt. Wenige wissen jedoch, dass Schäden vom Schalenwild durch die Jagdpächter an den Landwirt und Waldbesitzer komplett zu ersetzen sind. Das heißt, der Waldbesitzer geht eigentlich bei einem Wildschaden schadlos aus. Er verliert aber möglicherweise die begehrte Subvention durch den Freistaat Bayern.
Eine Schuldzuweisung für Wildschäden überträgt man oft und schnell auf die Jäger/innen. Die Jäger sind schuld, sie jagen zu wenig oder „züchten“ Überbestände in den Revieren. So ist es oft zu hören. Bitte bedenken Sie jedoch die Rahmenumstände. Wir haben in Bayern eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von ca. 237 Einwohnern je km² (NRW = 538 Einwohner!). Das statistische Landesamt Bayern hat dazu festgestellt, dass es im Durchschnitt jährlich ca. 86 Besucher je ha (100 x 100 Meter = 10.000 m²) gibt. Es wird darüber hinaus, für jedermann sichtbar, unsere „Rest-Natur“ mehrmals genutzt. Als Freizeitgelände, als land- und forstwirtschaftliche Nutzfläche, als Standortboden für Siedlungen und Unternehmen, als Fläche für eines der dichtesten Verkehrsnetze Europas und.... zuletzt als Lebensraum für Wild. Unser Wild existiert nur noch in jenen Nischen unseres Landes, welche unsere moderne und kostenorientierte Gesellschaft ihm übrig lässt. Diese Nutzungen erfolgen, wie gesagt, aber nicht allein durch Jäger/innen. Da ist noch der Reiter, da ist der Jogger, der Langläufer, der Schneeschuhtracker, der Radfahrer, der Geo-Cacher, der Wanderer, der Landwirt, der Waldarbeiter, die Viehweide, die Straße mit ihrem Lärm und den Gefahren für Mensch und Wild. Viele dieser Nutzer beschränken sich bei ihrer Tätigkeit nicht nur auf Tageslicht.
Das Konfliktpotential Wildschaden ist bedingt durch die Struktur unseres Lebensraumes in Deutschland, durch Subventionsvergaben und durch steigende Rohstoffpreise für Holz. Wir bewohnen eine Industrie- und Dienstleitungsnation ohne die Freiräume eines Flächenstaates, wie Kanada oder Russland sie z.B. haben. Aus diesen Gründen können Jägerinnen und Jäger nur eine „Feinsteuerung“ im Revier über Jagd und Hege und finanziellen Schadensausgleich leisten. Darüber hinaus haben sie keinen Einfluss auf die Struktur des Landes, das Preisgefüge für Holz und Subventionen die an Waldbesitzer vergeben werden. Wild ist in unseren Wäldern ein seit Jahrtausenden angestammtes Kulturgut, dass genauso zu unserer Heimat und unseren Wäldern gehört, wie unsere Berge. Wenn wir als Gesellschaft unser Rot-, Reh-, Dam-, Schwarz- und Gamswild weiter erhalten wollen, müssen wir Kompromisse machen. Eine wirtschaftliche und gewinnoptimale Lösung wird auf Kosten des Wildes gehen. Vielleicht ist es uns ja als Gesellschaft möglich, unseren Schalenwildarten die gleiche Toleranz bezüglich des Kostenaufwands zu gewähren, wie Wolf, Luchs und Biber.
Beenden möchte ich diese Gedanken gerne mit einem Zitat:
(Hr. Jaumann, Vorsitzender des Kreisjagdverbandes Wertingen)
Hans A. Werner